Vom Wählen und Nichtwählen

Stellen Sie sich vor, es sind Wahlen und keiner geht hin. Ganz so weit ist es glücklicherweise noch nicht, aber nimmt man die Direktwahlen der vergangenen Wochen in der Region, befinden wir uns auf einem erschreckenden Weg dorthin. Was tun? Wahlen sind das höchste Gut der Demokratie, das hört und liest man oft gerade unmittelbar vor Wahlen. In den vergangenen Wochen wurden sowohl der Oberbürgermeister von Frankfurt, als auch der Landrat des Wetteraukreises gewählt. Beide Male musste eine Stichwahl her, die die Hessische Gemeindeordnung (HGO) vorsieht, wenn kein Kandidat die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme im ersten Wahlgang erreicht. Hier die Wahlbeteiligungen: Frankfurt: Erster Wahlgang: 37,6 Prozent, zweiter Wahlgang: 30,2 Prozent. Wetteraukreis: Erster Wahlgang: 31,7 Prozent, zweiter Wahlgang: 23,1 Prozent.
Die nackten Zahlen zeigen deutlich, für eine Direktwahl auf kommunaler Ebene scheinen sich immer weniger Menschen zu interessieren, kommt es zu einer Stichwahl, sinkt die Beteiligung noch einmal eklatant. In Frankfurt wählte nicht einmal mehr jeder Dritte das Stadtoberhaupt in der Stichwahl, im Wetteraukreis folgten sogar weniger als ein Viertel aller Wähler dem Wahlaufruf. Woran mag das liegen? Bei der Stichwahl im Wetteraukreis lag Schnee, es war eisig kalt und das am 18. März. Sicher ein Grund, aber noch lange kein Hindernis für die Wahl. In Frankfurt beispielsweise schien beim ersten Wahlgang die Sonne, das Wetter war also kein Grund, dass nicht einmal 40 Prozent der Frankfurterinnen und Frankfurter wählen gingen.

Mittlerweile fordern nicht wenige Parteien und Interessensgruppen, dass man mehr Instrumente der direkten Demokratie in unser System implementieren soll. Volksabstimmungen, Bürgerbefragung und vielerlei mehr solcher Maßnahmen sollen die Lust an Demokratie wieder steigern und gegen die Verdrossenheit nutzen. Doch wenn dann eine solche direkte Abstimmung über die Spitze der eigenen Stadt oder des eigenen Landkreises ansteht, bleiben die Wähler weg von der Urne. Der Landrat sei ja im Grunde zu weit weg von den Bürgern, die eher auf die eigene Stadt und Gemeinde schauen, heißt es dann bei Bürgern aus den Landkreises. Der Oberbürgermeister indes habe doch ohnehin kaum Kompetenzen, die ihm die HGO zuspricht, hört man von Bürgern kreisfreier Städte.
Ausreden scheint es also genug zu geben, wenn es darum geht, nicht wählen zu gehen. Nun kommt sicher gerade in Frankfurt der Umstand der hohen Fluktuation hinzu. Viele Menschen, die bei beispielsweise bei Banken arbeiten, ziehen nach Frankfurt, ohne zu wissen, ob sie nach zwei oder drei Jahren nicht wieder weiterziehen. Eine Identifikation mit der Stadt setzt so möglicherweise kaum ein und so besteht auch weniger Interesse an einer kommunalen Wahl. Dies ist gewiss nur ein Erklärungsversuch und auch nur ein Faktor unter vielen, aber es gilt selbstverständlich, dass man auch diese Menschen für kommunale Politik begeistern muss.

Auf Landes- und Bundeseben konnte der Trend der sinkenden Wahlbeteiligung im Übrigen im Jahr 2017 gedreht werden. Sowohl bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, als auch bei den Bundestagswahlen ist die jeweilige Wahlbeteiligung gestiegen. Vielleicht weil es wirklich etwas zu wählen gab? Weil in den Ländern klar war, dass man entweder einen Wechsel an der Landesspitze wollte (S-H und NRW) oder eben nicht (Saarland) und weil man im Bund gegen ein „Weiter so“ wählen ging, vor allem die kleinen Parteien erhielten bekanntlich viele Stimmen bei steigender Wahlbeteiligung. Ist es vielleicht auch ein Bekanntheitsproblem? Während man Landes- und Bundespolitiker deutlich häufiger in den Medien sieht, sind Kommunalpolitiker doch weniger präsent. Im Fernsehen kommen diese so gut wie nie vor und die wenigen Menschen, die heute Zeitung lesen, verirren sich wohl noch weniger in die Lokalteile der Printmedien.

Was aber muss die Konsequenz sein? Man darf nicht davon ausgehen, dass man zukünftig mehr Sendeplatz im Fernsehen oder auch im Radio erhält, die Printmedien stehen ohnehin vor einer ungewissen Zukunft und doch muss man an der Bekanntheit arbeiten. Aber wo könnte dies leichter sein, als in der Kommunalpolitik? Präsenz ist hier das Stichwort. Ob bei Vereinsfesten oder Gemeinschaftsveranstaltungen. Ob beim Dorfputz oder der Übung der freiwilligen Feuerwehr. Überall hier kann ein Kommunalpolitiker an seiner Bekanntheit arbeiten. Natürlich darf dies nicht erst vor Wahlen direkt passieren, es ist ein steter Prozess, den man über Jahre anstreben muss. Gerade auf kommunaler Ebene werden Wahlen oftmals über Bekanntheit entschieden und da es – wie angesprochen – hier schwieriger ist, diese zu erreichen, bedeutet dies oftmals auch viele Stunden Arbeit und diese ist für einen Kommunalpolitiker bis auf wenige Ausnahmen ehrenamtlich. Das ist nicht einfach, aber ginge man diesen Weg gemeinsam, verteilt man diese Arbeit auf mehrere Schultern, so ist er gangbar und gut zu bewältigen.

Natürlich kann reine Präsenz nicht das einzige Mittel zur Steigerung der Wahlbeteiligung sein. Auch die Vermittlung von Politik, von Inhalten und Themen gehört hier dazu. Man muss raus aus dem Elfenbeinturm und hin zu den Menschen, die Fragen haben. Man kann nicht erwarten, dass die Bürgerinnen und Bürger stets selbst zu einem kommen, um diese Fragen zu stellen. Auch hier also geht vieles nur über Präsenz, dann aber gepaart mit der richtigen Ansprache. Auch komplexe Themen, wie beispielsweise ein kommunaler Haushalt, müssen mit einfachen Worten erklärt werden. Kein Bürger versteht, weshalb die eigene Straße schlecht ist, aber die Nachbarstraße kürzlich saniert wurde, wenn man es nicht ordentlich und mit klaren Worten erklärt. Hier können sicherlich auch die sozialen Netzwerke helfen, sie sind indes kein Allheilmittel.

Die einfache Antwort, nämlich derartige Direktwahlen wieder abzuschaffen, kann nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und im Sinne der Demokratie sein. Alle Demokraten gemeinsam sind vielmehr aufgerufen, der sinkenden Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene entgegenzutreten. Meine Ansätze hier sind sicherlich nur ein kleiner Teil dessen, was man leisten kann, aber sie können eben auch ein Anfang einer Diskussion sein, an deren Ende hoffentlich eine höhere Wahlbeteiligung steht. Hier geht es nicht um Parteidenke, sondern um gemeinsame Anstrengungen für unsere Demokratie!